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#59 Wie du es schaffst, nicht aufzugeben - 7 Tipps, die dir in schwierigen Zeiten helfen

Wenn du mir auf Instagram folgst, weißt du, dass jeder Tag mit einem Reminder in meiner Story beginnt. Vor Kurzem habe ich einen kleinen Ausschnitt aus einem Zitat von Marya Hornbacher geteilt.

Marya Hornbacher ist eine amerikanische Journalistin und Autorin, die mehrere Bücher über ihr Leben mit psychischen Erkrankungen veröffentlicht hat. In einem Interview hat sie gesagt: 

You don’t just choose recovery. You have to keep choosing recovery, over and over and over again. You have to make that choice 5-6 times each day. You have to make that choice even when you really don’t want to. It’s not a single choice, and it’s not easy.” 

Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ich mich jeden Tag gefragt habe, wann es leichter wird. Wann mir das Essen nicht mehr schwerfällt. Wann ich wieder Spaß am Leben habe. Wann ich endlich frei bin.

 

Eine Sache, die im Prozess der Heilung oft vergessen wird, ist Vertrauen. Wir wollen Fakten und Belege, die uns versichern, dass alles gut wird. Aber die gibt es nicht. Wir können nicht in die Zukunft schauen und sehen, wie das Leben ohne Essstörung aussieht. Wir können es uns vorstellen. Wir können es uns ausmalen. Aber wir werden es nicht schriftlich bekommen. Um langfristig und kontinuierlich heilen zu können, müssen wir dem Leben, unserem Körper und unserem Weg vertrauen. In gewisser Weise sogar einen Vertrauensvorschuss geben. Damit meine ich, dass wir im Vertrauen auf ein besseres Morgen bereits heute kraftvolle Entscheidungen treffen dürfen. Jeden Tag. Manchmal auch mehrmals am Tag. Wieder und wieder. 

 

Und das kann verdammt anstrengend sein. So anstrengend, dass einem auch mal die Puste ausgeht und man sich fragt, ob es nicht leichter wäre, zurückzugehen und sich für den Rest des Lebens mit der Essstörung zu arrangieren. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass das nicht stimmt. Die Wahrheit ist, dass gerade die Tage, an denen wir kurz davor sind aufzugeben, es dann aber nicht tun, entscheidend sind. In diesem Artikel möchte ich dir 7 Dinge mit auf den Weg geben, die dir in schwierigen Zeiten helfen und dich sogar daran wachsen lassen.

7 Tipps für schwierige Zeiten 

1.) Remember why you started:

→ Erinnere dich, wieso du dich für deine Recovery entschieden hast

Der erste Tipp kommt (zugegeben) nicht wirklich überraschend. Immerhin hört man ganz oft, dass es ein kraftvolles „Warum“ braucht, um den Weg aus der Essstörung langfristig und kontinuierlich bestreiten zu können. Wenn die Essstörung aber rebelliert, wir einen schwierigen Tag oder eine schwierige Phase haben, wünschen wir uns eine „schnelle Lösung“. Das ist der Grund, aus dem wir die Gründe für Heilung an schweren Tagen aus den Augen verlieren. Vielleicht sogar aus den Augen verlieren wollen. Weil es unglaublich schmerzhaft ist, sich vorzustellen, wie sich das eigene Leben entwickelt, wenn man in die Essstörung zurückgeht.

 

Auch wenn es weh tut und dich unglaublich traurig macht: Schau da hin und bleibe einen Moment in diesem Schmerz. Nimm wahr, wie es sich anfühlt, wenn du dich nicht dazu entscheidest, deine Essstörung loszulassen. Was du verpasst und in ein paar Jahren bereust, es nicht gemacht zu haben. Oder es nicht mehr machen zu können. Studieren, Reisen, eine eigene Wohnung haben, eine glückliche Beziehung führen, heiraten, Kinder bekommen.

 

Es gab einen Punkt, an dem du an dich, eine erfüllte Zukunft und ein Leben mit all diesen Dingen geglaubt hast. Es gab einen Punkt, an dem du in dem Glauben an eine gesunde und glückliche Zukunft für Heilung losgegangen bist. Es mag sein, dass dir der Glaube und das Vertrauen gerade fehlen. Das bedeutet aber nicht, dass sie nie da waren. Oder nicht wieder kommen. Erinnere dich daran, wieso du dich für deine Recovery entschieden hast. 

2.) Remember where you come from:

→ Erkenne deine Erfolge an

Heilung ist ein Prozess. Heilung passiert nicht von heute auf morgen. Und deine größten Ängste und Herausforderungen verschwinden nicht über Nacht. Sicher kennst du das Sprichwort „Der Weg ist das Ziel.“ So cheesy das klingen mag – it’s true.

 

Natürlich ist es gut, ein Ziel oder eine Vision zu haben (s. Punkt 1). Allerdings dürfen wir uns erlauben, flexibel zu bleiben und offen für das Leben zu sein. Zum einen, weil der Weg zum Ziel uns erschlagen kann, wenn wir noch ganz am Anfang stehen und wir permanent nur die Dinge sehen, die uns von unserem Ziel trennen. Zum anderen, weil jeder noch so kleine Schritt zählt. Jeder Schritt ist ein bisschen Heilung.

Erlaube dir also, deine Scheuklappen abzunehmen. Nicht nur das Ziel anzuvisieren, sondern achtsam zu sein für alles, was dir auf dem Weg dorthin begegnet und passiert. Was du entdeckst. Wie du dich fühlst. Wen du kennenlernst.

Heilung ist nicht immer messbar. Wenn du dir vornimmst, ein Stück Pizza zu essen und das schaffst, ist das ein Erfolg. Die meisten Heilungsschritte sind allerdings leise und subtil. Sie äußern sich durch Abwesenheit, was der Grund ist, aus dem wir viele Erfolge gar nicht wahrnehmen. Gar nicht erkennen, dass wir nicht auf der Stelle stehen, sondern schon verdammt weit gekommen sind. Gerade zu Beginn meines eigenen Heilungswegs war es ein täglicher Kampf, mich nach dem Essen nicht zu übergeben. Irgendwann habe ich mir die Frage, ob ich mich übergebe oder nicht, gar nicht mehr gestellt und erst bei meiner Jahresreflexion im Dezember bemerkt, dass ich seit einem Jahr symptomfrei von der Bulimie bin.

 

Und das ist auch ein Tipp, den ich dir gerne mitgeben möchte: Halte deine Erfolge in einem Tagebuch oder einem Journal fest. Stell dir jeden Tag oder zumindest jede Woche die Frage, an welche großen und kleinen Erfolge du dich erinnern kannst. Wann immer du glaubst, nichts auf die Reihe zu bekommen, kann dich das Tagebuch oder Journal vom Gegenteil überzeugen. Außerdem wirst du deine Erfolge im Alltag dadurch viel bewusster wahrnehmen und merken: Ich bin auf dem richtigen Weg.

3.) Don't settle for less than you deserve:

→ Gib dich nicht mit "okay" zufrieden

Eines der schwierigsten Dinge auf meinem Weg auf der Essstörung war, die Veränderung meines Körpers zu akzeptieren. Lange bevor ich den ersten Schritt gemacht habe, habe ich mir eine Zahl in den Kopf gesetzt, von der ich glaubte, damit leben zu können. Es war okay für mich, zuzunehmen, solange mein Gewicht unterhalb der von mir erlaubten Range blieb. Ein netter Nebeneffekt war, dass mir dieses Gewicht etwas mehr Flexibilität erlaubte und sich bereits die ein oder andere Verbesserung einstellte. So habe ich mir beispielsweise 1x/Woche erlaubt, auswärts essen zu gehen oder einen trainingsfreien Tag einzulegen. Ich konnte auch Pizza oder Eis essen – sofern das in meine Kalorienbilanz passte.

 

Genau das ist das Problem: Die Essstörung ist nach wie vor da. Sie kontrolliert. Sie erlaubt. Sie stellt die Regeln auf. Und wahrscheinlich redet sie dir ein, dass „alles okay“ ist und du mit gewissen Einschränkungen gut leben kannst. Allerdings ermöglicht eine abgeschwächte Form der Essstörung auch nur eine abgeschwächte Form deines Lebens. Deine bisherigen Erfolge und die Verbesserungen, die sich bis hierhin eingestellt haben, sind nämlich nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was auf dich wartet, wenn du komplett gesund bist.

 

Und das ist meine feste Überzeugung: Es ist möglich, ein Leben ohne die Essstörung zu führen. Es ist möglich, vollständig gesund zu werden. Es ist aber nur möglich, wenn du dich mit dem Status quo nicht zufriedengibst. Wenn du dich nicht mit „okay“ zufriedengibst, sondern „außergewöhnlich“ anstrebst.

You didn’t come this far to only come this far. Das Leben hält mehr für dich bereit und ein Leben mit ein bisschen Essstörung bleibt ein Leben mit ein bisschen Essstörung.

4.) Don't get lost in other people

→ Bleib bei dir und deinem Weg

Wann immer wir an einem Punkt stehen, an dem wir nicht wissen, wo und wie wir weitermachen sollen, tendieren wir dazu, uns stark im Außen zu orientieren. Dann hören wir einen Podcast nach dem anderen, schauen uns viel zu viele Insta-Storys an und durchforsten das Internet, um den sprichwörtlichen Strohhalm zu finden. Wie haben andere es gemacht? Wie haben andere das geschafft?

 

Ja, ich bin der Meinung, dass es durchaus helfen kann, sich inspirieren zu lassen. Sich das ein oder andere abzugucken, es auf den eigenen Weg anzuwenden und festzustellen, ob es funktioniert. Was aber oft passiert, ist, dass wir unseren Weg dadurch infrage stellen. Unsere Strategien anzweifeln und uns fragen, ob wir alles richtig machen.

 

Der Weg aus der Essstörung kann und wird deinen Perfektionismus bis aufs Letzte triggern. Weil jeder Heilungsweg anders ist, es weder „richtig“ und „falsch“ noch eine Blaupause gibt, die sich von einem auf alle übertragen lässt. Am Ende des Tages musst du deine eigenen Erfahrungen und vor allen Dingen Fehler machen. Denn es sind gerade deine vermeintlichen Fehler, die dich stärker und klüger machen. Sie geben dir die Möglichkeit, beim nächsten Mal etwas anderes auszuprobieren und dadurch langfristig herauszufinden, was für dich funktioniert. Wie sich deine Essstörung heilen lässt.

 

An schweren Tagen ist es wichtig, wieder bei dir anzukommen. Die Dinge, die im Podcast oder einer Story gesagt werden, auch mal sacken zu lassen und dein Handy für ein paar Stunden beiseitezulegen. Dich zu fragen: Wo habe ich eine Resonanz gespürt? Was könnte mein nächster Schritt sein? Welche Strategien haben mir in der Vergangenheit geholfen und was möchte ich ausprobieren? Du trägst alle Antworten bereits in dir.

5.) It's okay to ask for help

→ Du musst das nicht allein schaffen

Noch wichtiger als Inspiration, ist Hilfe. Echte Unterstützung für deinen Weg. Egal an welchem Punkt du gerade stehst: Du darfst dir Hilfe holen. Du musst das nicht allein schaffen.

 

Ich hatte vor einigen Jahren eine Brandschutzschulung in meiner alten Firma. Auf die Frage des Kursleiters, an welchen Stellen im Gebäude Feuerlöscher zu finden seien, hatte weder ich noch eine*r meiner Kolleg*innen eine Antwort. Obwohl wir einen Großteil des Tages in diesem Gebäude verbrachten, wahrscheinlich sogar mehrmals am Tag an den entsprechenden Stellen vorbeiliefen, hatten wir keinen blassen Schimmer, wo die Feuerlöscher hingen.

 

So betriebsblind wie meine damaligen Kolleg*innen und ich sind wir häufig auch auf dem Heilungsweg. Wir sind blind für unsere Glaubenssätze, Überzeugungen oder Verhaltensmuster, weil sie uns seit vielen Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten täglich begleiten. Deshalb finden wir keine Antworten auf Fragen zum Ursprung oder der Funktion unserer Essstörung. Deshalb verstehen wir unsere Essstörung sowie den Sinn und Zweck bestimmter Verhaltensweisen nicht. Ein Coach, ein Therapeut oder eine Therapeutin kann dich unterstützen und dir dabei helfen, deine Essstörung wirklich zu verstehen.

Auch wenn es sich am Anfang so angefühlt hat, als wenn ich das allein schaffe, kann ich rückblickend sagen, dass ich meine Essstörung erst richtig heilen konnte, als ich mir Hilfe geholt habe. Weil ich erst dadurch erkannt habe, woher meine Essstörung kam, warum ich so unglaubliche Angst hatte, ohne Essstörung zu leben und zuzunehmen.

 

Und ich weiß, dass der Schritt, sich Hilfe zu holen verdammt schwer ist. Weil die Essstörung dich davon abhalten möchte. Sie will nicht, dass du diesen Schritt für dein neues Leben gehst. Ein Leben ohne sie. Aber es ist so, so wichtig, dass du es immer wieder versuchst. Hilfe zuzulassen, bedeutet nicht nur wahrzunehmen, dass es ein Problem gibt und dass sich etwas ändern muss. Es bedeutet auch, offen zu sein und zu vertrauen. Und wie wichtig das ist, weißt du ja bereits.

6.) Change the way you look at things

→ Verändere deine Perspektive

Wie ich vorhin bereits angesprochen habe, ist es wichtig, sich einen gewissen Raum zu geben. Wut, Freude, Trauer und Schmerz auch mal da sein zu lassen. Ins Fühlen zu kommen. Ohne deine Emotionen zu bewerten.

 

Wenn wir unsere Gefühle voller Mitgefühl und Liebe annehmen, ohne direkt darauf zu reagieren oder uns abzulenken, weiten wir den Raum zwischen Reiz und Reaktion aus. Hier setzt das Reframing an. Eine Strategie, die gerne in der Hypnotherapie oder im Coaching angewendet wird und mir auf meinem Heilungsweg immer wieder geholfen hat.

 

Beim Reframing geht es darum, die eigene Sichtweise zu verändern. Dadurch schaffen wir es, Dinge in einem neuen Rahmen betrachten zu können. Ganz wichtig: Reframing hat nichts mit toxischer Positivität zu tun! Belastende Situationen und Herausforderungen werden nicht geleugnet. Stattdessen werden verschiedene Möglichkeiten in Erwägung gezogen, diese Situationen und Herausforderungen zu bewältigen. Es geht also eher darum, Einsichten zu erlangen, die wir mit dem bisherigen Blickwinkel nicht hätten finden können und neue Wege erschließen zu können, zukünftig mit Herausforderungen und belastenden Situationen umzugehen.

 

Ein einfaches Beispiel für Reframing habe ich Anfang Februar in einem Post auf Instagram geteilt: 

Wer bin ich ohne die Essstörung? Ich denke, dass jede*r Betroffene früher oder später an einen Punkt kommt, an dem man sich diese Frage stellt. Die Frage kann unglaublich einschüchternd wirken und beängstigend sein. Sie kann aber auch einen Raum voller Möglichkeiten öffnen. Die Wahrheit ist nämlich: You can be whatever you want to be."

Herausforderungen ermöglichen uns positives Reframing, indem wir statt „Ich kann das nicht!“ umdenken und zu dem Entschluss kommen „So, wie ich bisher drangegangen bin, hat es sich nicht so gut angefühlt. Also gehe ich es nochmal anders an.“

 

Oftmals reicht es auch schon, die Betonung zu verändern und sich statt „Wieso passiert mir das?“ „Wieso passiert mir das?“ zu fragen.

7.) You will get through this

→ Auch das geht vorbei

Schwierige Tage gehören auf dem Heilungsweg einfach dazu. Aber: Ganz egal, wie schwer der Tag auch sein mag – er geht vorbei. Morgen ist ein neuer Tag. Eine neue Chance. Und glaub mir, wenn ich sage, dass du dann bereits dankbar sein wirst, nicht aufgegeben zu haben.

 

Alles Liebe,

deine Saskia

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Kommentare: 3
  • #1

    Jessi (Dienstag, 08 März 2022 09:27)

    Danke für diesen aufmunternden und Mut machenden Beitrag. Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Recovery (heute eine Woche symptomfrei) und habe etwas Angst vor der Zeit, in der die anfängliche Motivation verfliegt. Für diese Zeit werde ich mir deinen Beitrag auf jeden Fall noch einmal vor Augen führen. Jeder kleine Schritt zählt und das ist sehr wichtig zu verstehen.

  • #2

    Maren (Dienstag, 08 März 2022 18:05)

    So unglaublich schön, egal ob hier oder bei Instagram. Danke für diese Arbeit!! Diese Arbeit und Mühe ist nicht selbstverständlich danke! So motivierend und inspirierend. Du bist so ein toller Mensch, lass Dir von keinem was sagen und geh deinen Weg, du bist großartig und bezaubernd, danke��❤️����⭐️��✨

  • #3

    Doris (Samstag, 12 März 2022 22:10)

    Vielen Dank für den motivierenden Beitrag. Ich kann mir selbst damit immer Mut machen und weitermachen. Es ist ein anstrengender Weg aber es lohnt sich. Danke für den tollen Input! ♥️