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#22 Hilfe auf dem Weg aus der Essstörung

Herzlich willkommen zu einem neuen Blogeintrag So schön, dass du hier bist. Heute soll es um ein Thema gehen, das in meinem Leben sehr aktuell ist. Es geht darum, sich Hilfe zu holen. Durch einen Coach, einen Therapeuten, in einer Selbsthilfegruppe, ...

Denn auch ich werde ab Mitte März noch einmal eine ambulante Therapie beginnen. 

Das liegt nicht daran, dass ich einen Rückfall hatte oder es mir momentan schlecht geht – im Gegenteil. Ich habe mich entschieden, mir erneut Unterstützung zu suchen, gerade weil es mir momentan gut geht und ich den tiefen Wunsch habe, dass das so bleibt. Und zwar langfristig.

Therapien sind Quatsch. Oder nicht?

Nachdem meine Klinikaufenthalte nicht wirklich zur Heilung meiner Essstörung beigetragen und ich einige Negativerfahrungen in Bezug auf ambulante Therapie gemacht habe, habe ich vor einigen Jahren für mich geschlussfolgert, dass Therapien Quatsch sind. Dass sie nichts bringen. Nachdem sich der Wunsch meine Essstörung zu heilen gefestigt hat, war ich dann auch der festen Überzeugung, dass ich es allein, ohne jegliche Unterstützung, schaffen kann. Rückblickend bin ich zwar sehr stolz auf das, was ich aus eigener Kraft bewältigt habe. Gleichzeitig erkenne ich heute aber, dass die vollständige Heilung meiner Essstörung schon viel früher möglich gewesen, wenn ich der Therapie trotz der negativen Erfahrungen und meiner daraus resultierenden Schlussfolgerung eine weitere Chance gegeben hätte.

Die Ursache der Essstörung finden

Obwohl ich selbst betroffen bin, habe ich dem Vorurteil, dass es bei einer Essstörung ausschließlich ums Essen geht, geglaubt. Ich habe daher lange Zeit angenommen, dass ich einfach nur essen und zunehmen muss, um wieder gesund zu werden. Bis zu einem bestimmten Punkt hat das auch funktioniert – dann hat mich die Essstörung aber immer wieder eingeholt. 

Heute weiß ich, dass die Essstörung eine Bewältigungsstrategie ist, um tieferliegenden Emotionen aus dem Weg zu gehen. Sie erfüllt für die Betroffenen eine Funktion, was letztendlich auch bedeutet, dass die Heilung einer Essstörung weit über die Konfrontation mit dem Essen und eine mögliche Zunahme hinausgeht. 

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass vollständige Heilung erst möglich ist, wenn man versteht, woher die Essstörung kommt. Erst dann können negative Glaubenssätze transformiert, Vergebungsarbeit geleistet, alle Anteile geheilt und alternative Bewältigungsstrategien gefunden werden, die die Essstörung langfristig ablösen.

 

Ich weiß, dass das sehr komplex klingt. Aus diesem Grund und, weil es wirklich schmerzhaft sein kann, ehrlich hinzuschauen und den Ursprung der Essstörung zu finden, lohnt es sich aus meiner Sicht, sich für diesen Prozess Unterstützung zu holen. 

Nicht gleich aufgeben

Vielleicht schreckt dich der Gedanke and eine Therapie oder ein Coaching erst einmal ab. Das kann ich sehr gut verstehen. Nach all den negativen Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, hätte ich mir vor einigen Monaten auch nicht träumen lassen, dass ich es tatsächlich noch einmal versuche.

Aber: manchmal stimmt die Chemie einfach nicht, manchmal dringen die Worte unseres Gegenübers nicht zu uns durch, manchmal können wir noch nicht einmal genau sagen, warum wir uns nicht wohl fühlen. Trotzdem ist es wichtig, nicht gleich aufzugeben, sondern den Mut zu haben, den Hörer in die Hand zu nehmen und die Nummer der Beratungsstelle noch einmal zu wählen. 

Verantwortung abgeben?

Es kann sein, dass du ähnliche Erfahrungen gemacht hast, wie ich und deine bisherigen Behandlungen nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben. Ein Grund, aus dem die Therapie mir lange nicht geholfen hat (und gar nicht helfen konnte), war allerdings meine Einstellung dazu. Ich habe von meinem Therapeuten erwartet, dass er irgendetwas Bestimmtes sagt oder irgendetwas Bestimmtes macht, das mir meinen Heilungsweg von heute auf morgen extrem erleichtert. Es gibt aber keinen Zauberspruch, keinen Hokuspokus, den dein Therapeut aufsagen kann und du bist plötzlich auf magische Weise geheilt. Sich Hilfe zu holen bedeutet nicht, die Verantwortung für die Heilung der Essstörung abzugeben. Sie wie einen Mantel abzustreifen und jemand anderem zu übertragen. Eine erfolgreiche Therapie erfordert deine Beteiligung. Und wie der gesamte Heilungsweg ist auch die Therapie ein Prozess. Gib nicht gleich auf, wenn du nicht von heute auf morgen eine Veränderung spürst. Feier auch deine kleinen Erfolge.

Nicht krank genug

Lange Zeit habe ich außerdem geglaubt, dass ich keine Hilfe verdient habe. Weil ich nicht krank genug bin. Kommt dir das bekannt vor?

Ich möchte dir sagen, dass du Hilfe verdienst. Unabhängig davon, wo du gerade stehst - es kommt nicht darauf an, seit wann du die Essstörung hast, ob dir eine ärztliche Diagnose gestellt wurde oder wieviel du wiegst.

 

Weil ich während meiner Bulimie immer normalgewichtig war, hatte ich unglaubliche Angst, mir Unterstützung zu holen. Ich hatte Angst davor, nicht ernst genommen zu werden, weil man mir meine Essstörung nicht ansehen konnte.

Heute würde ich mein jüngeres Ich so gerne in den Arm nehmen und ihm sagen, dass es okay ist. Dass es Hilfe braucht und es vollkommen in Ordnung ist, sich diese Hilfe dann auch zu holen. Weil jeder Mensch Hilfe verdient hat und allein der Gedanke „nicht krank genug zu sein“ zeigt, dass es ein Problem gibt, das man nicht mehr allein in den Griff bekommt. 

Alles unter Kontrolle?

Ich würde dir darüber hinaus raten, in dich zu gehen und herauszufinden, was in dir sich gegen eine Therapie sträubt. Die Essstörung ist eine Erkrankung, in der es zu einem großen Teil darum geht, die Kontrolle zu haben und sie zu behalten. Sich Unterstützung zu holen bedeutet wiederum, die Kontrolle ein Stück weit abzugeben. Dieser Widerspruch erklärt den inneren Widerstand, der aus dieser Perspektive auf einmal sehr logisch erscheint. Wichtig ist zu erkennen, dass nicht DU der- oder diejenige bist, die Angst vor der Therapie hat. Es ist deine Essstörung. Weil sie Angst hat, die Therapie nicht zu überleben.

 

Für mich war der Schritt mir Hilfe zu holen ein „Ja!“ zum Leben und ein „Nein!“ zu meiner Essstörung. Denn solange ich meinen Heilungsweg mehr oder weniger allein bestritt, konnte ich jederzeit zurück in die Essstörung. Es war niemand da, gegenüber dem ich rechtfertigen musste, warum ich nun doch wieder weniger esse, einen Fressanfall habe oder mich qualvoll übergebe. Mir Hilfe zu holen bedeutete für mich gleichzeitig, mir kein Hintertürchen mehr offen zu halten. Ich kann absolut verstehen, dass dir das Angst macht und du glaubst, dieses Hintertürchen unbedingt zu brauchen. Ich sage dir: du brauchst es nicht. Es ist wichtig, dass du diese Türe schließt. Sodass sich eine neue öffnen kann. 

Der Glaube an sich selbst

Was bleibt ist die Angst vor dem Scheitern. Denn auch wenn bis hierhin alles einleuchtend klingt und dir Hilfe zu holen nun gar nicht mehr so abwegig ist, hast du doch die Befürchtung, dass du es ohnehin nicht schaffen kannst. Dass eine Behandlung oder gar der gesamte Heilungsprozess bei anderen vielleicht funktionieren mag – bei dir aber nicht. Deine Essstörung hat dafür gesorgt, dass du den Glauben an dich verloren hast. Umso wichtiger ist es, dir diesen Glauben an und darüber hinaus das Vertrauen in dich zurückzuholen. Wie das geht? Indem du dich für die Heilung entscheidest. Indem du einen Schritt nach dem anderen auf deinem Heilungsweg zurücklegst und dich für jeden noch so kleinen Erfolg anerkennst. Ein erster Schritt auf diesem Weg kann sein, dich heute zu entscheiden dir die Hilfe zu holen, die du so dringend brauchst.

 

Und selbst wenn du nicht an dich glaubst, ich tue es. Ich glaube an dich. 

Alles Liebe,

deine Saskia 


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